Montag, 30. Oktober 2017

Das Rätsel der „Reformation“ ( III. )

Was also bewegte die Reformatoren, was veranlaßte sie zu solcher Reformation?

Welche Gründe also bewogen die Reformatoren, sich von der Heiligen Schrift zu entfernen und sich in Gegensatz zu begeben zu allen Kirchen apostolischen Ursprungs, zu den Kirchen des Orients wie des Okzidents?

Es lag den Reformatoren ferne, islamische Lehren zu übernehmen; wo Christentum und Islâm sich unvereinbar gegenüberstehen, hielten sie die christliche Lehre aufrecht: sie bestätigten die Dreifaltigkeit, die Erlösung durch den Tod Christi am Kreuz.
Nichtsdestoweniger fällt auf, daß sie in alledem, womit sie sich von der überlieferten Lehre der Kirche unterschieden, mehr oder weniger mit dem Islâm übereinstimmten.
Woher mögen solche Übereinstimmungen rühren?

In der frühen Zeit des Christentums (und manchmal auch bis heute) herrschte die Vorstellung, daß der Glaube sich auch in weltlichem Erfolg bestätige, und gerade auch auf dem Schlachtfeld; und bei besonderer Gelegenheit – «In hoc signo vinces» stand über Konstantins Sieg in der Schlacht an der Milvischen Brücke – war das ja sogar berechtigt. Und bei der Bekehrung der germanischen Völker spielte diese Vorstellung eine gewisse Rolle.
Dann aber, seit dem VII. Jahrhundert, begann der Siegeszug des Islâm.
Die Ereignisse: 635 fiel Damaskus, 638 Jerusalem, 642 Alexandrien, 649 Zypern, 698 Karthago, 711 wird die Meerenge von Gibraltar überschritten, 712 Toledo erobert, 720 Narbonne.
So erschien vielen nun aus jener Sichtweise heraus der Islâm als der überlegene Glauben. Man begann, zwar nicht ihren Glauben an sich, wohl aber das eigene Glaubensleben in Frage zu stellen. Was viele zunächst daran an Fehlern zu finden meinten, war die Ikonenverehrung, die vom Islâm strikt abgelehnt, wenn nicht gar als Götzendienst angesehen wurde.
Die Ereignisse: 730 ließ Kaiser Leon III. die Ikonen aus den Kirchen entfernen, sein Nachfolger, Konstantin V., der sich dadurch den Beinamen „Kopronymos“ zuzog, wies auch die Reliquien der Heiligen hinaus; 754 wurde der Ikonoklasmus von einer Pseudosynode in Konstantinopel bestätigt. 787 aber gab das II. Nizänische Konzil der Verehrung der Reliquien und Ikonen wieder ihren angemessenen Platz. Doch bald kommt es zum Rückfall: 815 stellt sich eine Synode zu den Beschlüssen von 754; erst 843 bekennt sich eine neuerliche Synode zum II. Nicaenum.
Es gibt keinen einfachen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kampf um die Ikonen und dem Vormarsch der Araber, der, als die ikonoklastischen Maßnahmen begannen, noch keineswegs beendet war – 827 wird Kreta von Arabern erobert; im selben Jahr beginnt die Eroberung Siziliens –, aber doch etwas an Kraft verloren hatte. Es war eher so, daß bei vielen Christen ein Empfinden von Unterlegenheit gegenüber dem Islâm eingedrungen war und weiterwirkte. Bezeichnend ist die Zusammensetzung der Parteien: Hinter dem Ikonoklasmus stand vor allem das Militär, während für die Ikonen sich besonders die Mönche einsetzten. Theologisch zurückgewiesen wurde der Ikonoklasmus aus Rom von den Päpsten und aus Damaskus – das damals unter islamischer Herrschaft stand – vom letzten der großen Kirchenväter, Johannes Damascenus. Es lag den Ikonoklasten fern, islamische Lehren vertreten zu wollen; sie waren mit ihren Ansichten einfach auf der Höhe der Zeit.
Militanten Ikonoklasmus gab es zwar im Westen nicht, nichtsdestoweniger aber ließ Karl d. Gr. eine Streitschrift gegen das II. Nicaenum ausarbeiten, die Libri carolini; die Synode von Frankfurt 794 gab sich zwar gemäßigter, beanstandete aber ebenfalls die Ikonenverehrung.
Doch Stärke zeigte die islamische Welt nicht nur im Krieg. Der bedeutendste abendländische Gelehrte des X. Jahrhunderts, Gerbert von Aurillac, studierte an arabischen Hochschulen in Andalusien; für die Scholastiker waren die großen islamischen Philosophen wie Avicenna (Ibn Sînâ) und Averroës (Ibn Ruschd) wichtige Lehrmeister. Und durch die Kreuzzüge kam es seit der Wende zum XII. Jahrhundert nicht nur zu Gemetzeln, sondern auch zu Begegnungen über die Grenzen der Religionen hinweg; die Kreuzfahrer lernten die überlegene arabische Alltagskultur kennen, waren trotz ihrer zeitweiligen militärischen Erfolge von ihr tief beeindruckt. So kam es zu einem Austausch der Kulturen; dabei war die arabische Kultur zunächst meistens der gebende Teil.

Und auch die militärischen Erfolge der Kreuzfahrer waren nicht von Dauer.
Die Ereignisse: Um die Mitte des XIII. Jahrhunderts beginnen die Kreuzfahrerstaaten zu fallen, 1291 wird der letzte eingenommen. 1354 überschreiten die Osmanen die Dardanellen, 1361 wird Adrianopel erobert, 1389 unterliegen die Serben in der Schlacht auf dem Amselfeld, 1453 wird Konstantinopel erobert, 1526 unterliegen die Ungarn in der Schlacht bei Mohacs, 1529 stehen die Osmanen vor Wien.
Erst 1571 wendet sich das Blatt sichtlich mit der Schlacht bei Lepanto; und 1683 mit der osmanischen Niederlage bei der zweiten Belagerung von Wien ist schließlich der Siegeszug der Osmanen endgültig Vergangenheit.

So lösten sich Vorstellungen islamischen Ursprungs vom Islâm und fanden – wenn auch nicht bei Gerbert, dem späteren Papst Silvester II., oder den großen Scholastikern – Eingang in die abendländische Gedankenwelt, blieben dort lange bestehen; man konnte sich mit ihnen auf der Höhe der Zeit sehen.

Die Rede ist hier von Gedanken des strikten, vor allem des sunnitischen Islâms. Es geht nicht um den Islâm der Mu‘taziliten, der von der Philosophie überprägt ist, nicht um den der Sûfîs, der vom Volksglauben überprägt ist – beides wird von den Strenggläubigen als unislamisch abgelehnt. Von Strenggläubigen wird die Philosophie überhaupt sehr mißtrauisch betrachtet. Damit stimmte Luther überein; er scheute sich nicht, Aristoteles als «rancidus philosophus», als «fabulator» zu bezeichnen (WA 9, 23. 43).

1. Sola scriptura
Nach islamischer Lehre ist der Qor’ân vom Himmel herabgekommen, ohne menschliches Zutun. Von diesem Standpunkt aus kann man vom christliche Verständnis, nach dem inspirierte Menschen mit ihren eigenen Worten die Heilige Schrift geschrieben haben, enttäuscht sein. Es gibt neben dem Qor’ân zwar die Sunna, die Überlieferung von Worten und Handlungen des Propheten, doch ist sie nur für religiöse Praxis und Lebensführung von Gewicht; doch sie läßt sich nicht vergleichen mit der christlichen Tradition, auch nicht mit der jüdischen mündlichen Tôra; wird nicht als Quelle der Offenbarung verstanden, bestimmt nicht die Glaubenslehre mit.

2. Sola gratia
Daß der Mensch Willensfreiheit hat, aus eigener Entscheidung mit der Gnade mitwirken, Gott gehorchen, das Rechte tun kann, wird vom strengen Islâm verneint. Nur die Mu‘taziliten und die ihnen nahestehenden Konfessionen, Charidschiten und Fünfer-Schi‘iten bekennen sich zur Willensfreiheit. Man kann beeindruckt sein von der Vorstellung von einem Gott, der seine Allmacht ausübt, ohne sich von irgendetwas beeinflussen zu lassen, ohne auf irgendetwas Rücksicht zu nehmen. Allerdings kann man auch einen Gott bewundern, der dem Menschen eigene Entscheidungsfreiheit gewährt, ohne dabei etwas von seiner Allmacht einzubüßen.

3. Sola fide
Nach geläufigem islamischem Verständnis müssen Muslime, die Böses getan haben, zunächst dafür in der Hölle büßen, bis sie am Jüngsten Tag dann doch ins Paradies aufgenommen werden, während die Ungläubigen danach in der Hölle bleiben. So gilt im Islâm zwar nicht sogleich, aber doch beim Jüngsten Gericht der Grundsatz des „sola fide“.
Dieser islamischen Vorstellung von einer Hölle auf Zeit ähnlich ist zwar nicht das Purgatorium der katholischen Lehre, wie es in Theologie (hlg. Katharina von Genua: Trattato del purgatorio) und Vision (Dante: Divina Commedia) erscheint, wohl aber eine volkstümliche Vorstellunge vom Fegefeuer im katholischen Raum.

4. Sakramente
Sakramente kennt der Islâm nicht. Es gibt zwar äußere Zeichen, von denen Gnade erwartet werden mag, wie etwa die Riten der Haddsch, aber von Sakramenten unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nicht gespendet werden (die Spendung ist für die Sakraments charakteristisch, wenn sie auch nicht zu deren gebräuchlichen Definition gehört).
Der Islâm kennt wohl Opfer, aber sie haben keine sonderliche theologische Bedeutung, sind nicht vergleichbar dem Erlösungsopfer am Kreuz; darum gibt es auch nichts, was dessen Vergegenwärtigung im eucharistischen Opfer vergleichbar wäre.

5. Kirchliches Amt
Ebensowenig kennt der Islâm ein Weihesakrament; es gibt keine islâmischen Priester. An deren Stelle treten ‘Ulemâ’, Theologen, die durch Studium qualifiziert sind, nicht durch eine Weihe.
Somit gibt es auch keine islamische Kirche, kein Lehramt. Es herrscht zwar die Ansicht, daß der Konsensus der ‘Ulemâ’, der Idschmâ‘, unfehlbar sei, doch ist Idschmâ‘ für die Rechtsprechung von Bedeutung, kaum für den Glauben des einzelnen Muslims. Und was Idschmâ‘ ist, darin stimmen selbst die anerkannten sunnitischen Rechtschulen nicht überein. Keineswegs ist ein Idschmâ‘ zu vergleichen mit den Lehrentscheidungen von Päpsten und Konzilien und auch nicht mit der Rechtssetzung durch die tannaitischen und amoräischen Rabbinen.

6. Ordens- und Zölibatsgelübde
Der strenge Islâm kennt kein Ordensleben; die Sûfîs stellen für die Strenggläubigen eine Abirrung da. Er kennt keinen Zölibat, kein religiös begründetes sexuell enthaltsames Leben. Während der einfache Muslim mit vier Frauen verheiratet sein darf, waren Mohammed selbst zehn gestattet.

7. Heiligen- und Reliquienverehrung
Etwas wie Heiligenverehrung gibt es in Schî‘a und Sûfismus, wird aber von strengen Sunniten abgelehnt, ebenso die Wallfahrt zu Gräbern von Heiligen; erst recht gibt es dort keine Reliquienverehrung. Die Anrufung von Heiligen wird auch von strengeren Schi‘iten abgelehnt. Bilderverehrung, also etwas wie die christliche Ikonenverehrung, wird nirgendwo im Islâm geduldet.

– I. Teil –
– II. Teil / 1.-3. –
– II. Teil / 4.-7. –

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