Samstag, 28. Oktober 2017

Das Rätsel der „Reformation“ ( II./1-3 )

Worum ging es in der Reformation wirklich?

Wie gezeigt worden ist, ging es nicht nur um die Abschaffung des Ablasses und um die des päpstlichen Primats, auch nicht, wenn man noch die Kommunionspendung sub utraque specie hizufügt.

Worum ging es also wirklich?

Hier soll die Rede sein von der Reformation der Reformatoren, nicht vom heutigen Protestantismus. Dadurch, daß die Reformatoren der Heiligen Schrift einen hohen Rang eingeräumt haben, gab es in der Geschichte des Protestantismus immer eine Gegenkraft zum Bekenntnis der Reformatoren. Im heutigen deutschen Protestantismus gibt es noch eine kleine Zahl streng reformatorisch eingestellter Theologen, mehr im reformierten als im lutherischen Raum; daneben kann man nach englischem Beispiel eine High church, eine Low church und eine Broad church unterscheiden.
Die Broad church, die einen Großteil der evangelischen Gemeinden umfaßt, ist mehr durch den Zeitgeist als durch geistliche Maßstäbe geprägt; Bibel und Bekenntnis werden hier eher nach Bedarf häppchenweise herangezogen.
Die High church, besonders die Hochkirche, die selber diesen Namen führt, ist hierzulande sehr klein; die Altlutheraner gehen aber in ähnliche Richtung. Hier werden in bewußtem Gegensatz zu Reformierten und Unierten die Schrift und auch altkirchliche Überlieferung intensiv herangezogen.
Die Low church schließlich ist bestimmt von der pietistischen und evangelikalen Bewegung. Sie sieht sich in bewußtem Gegensatz zur Broad church; aus Rückbesinnung auf die Bibel hat sie in der Sache auch mit Kerngedanken der Reformation gebrochen, wenn sie diese auch dem Wort nach festhält, mit dem sola gratia und dem sola fide.
Mit Reformation der Reformatoren ist das gemeint, was von den Häuptern der Reformation gleichermaßen betrieben wurde, wenn auch es durchaus Unterschiede darin gibt, wie sehr die reformatorischen Gedanken vorangetrieben wurden – wiederholt erscheint Wittenberg weniger radikal als Zürich und Genf, was mal an Luther, mal an Melanchthon liegt.

Worum nun ging es in der Reformation der Reformatoren?

Bei deren wohl frühestem Vorläufer, John Wyclif, ging es um den Gegensatz des Weltklerus zu den Bettelorden, aber auch um soziale Anliegen. Ersteres spielte in der Wittenberger Reformation keine Rolle mehr – Luther gehörte ja selber einem Bettelorden an –; letzteres hatte hier zwar zunächst eine gewisse Bedeutung, aber als Thomas Müntzer damit allzusehr Ernst machte, fiel er bei Luther in Ungnade.
Beim nächsten Vorläufer, Jan Hus, war das nationale Anliegen von Bedeutung. Im deutschen Raum hatte das jedoch erst in der Los-von-Rom-Bewegung des XIX. Jahrhunderts Gewicht.
Für die Obrigkeiten, die in ihren Gebieten die Reformation durchsetzten, war sie eine ihnen sehr gelegene theologische Rechtfertigung für den Einzug der Kirchengüter. Doch die Reformation wurde nicht nur von den Obrigkeiten getragen.

Worum also ging es noch?

Es beginnt mit den drei „sola“-Prinzipien, „sola scriptura“ – „sola gratia“ – „sola fide“: Schon die Heidelberger Disputation am 26. April 1518, die der Augustinerorden im Auftrag des Papstes über Luthers Thesen zum Ablaß veranstaltete, mit deren Leitung der Orden Luther selbst beauftragt hatte, nutzte dieser, statt sich dem Thema zu widmen, seine eigene Theologie auszuführen mit sehr eigenen Standpunkten, die dann als „sola gratia“ und „sola fide“ Verbreitung fanden (Oecodomonti gratias!). Bei der Leipziger Disputation 1519 vollzog er mit dem „sola scriptura“ den Bruch mit der Lehre der Kirche.

I. Sola scriptura
„Sola scriptura“ heißt, daß alles, jede Glaubensaussage, jede Glaubensnorm, aus der Schrift ableitbar sein muß. Bei diesem Prinzip springt ins Auge, daß es einen Widerspruch in sich selbst darstellt, denn es selbst ist nicht aus der Schrift abgeleitet, sondern ist eine von den Reformatoren gesetzte Norm.
Im Hebräerbrief (6, 1. 2) steht ausdrücklich, daß die Grundlehren des Glaubens vorausgesetzt werden können und daher nicht im Brief behandelt zu werden brauchen. Von den hier erwähnten Grundlehren des Glaubens wird die Handauflegung jedenfalls nicht schon im Evangelium besprochen.
Die Kirche hat immer die Überlieferung der Offenbarung Christi durch die Heiligen Schriften und durch mündliche Weitergabe, welche sich später dann in den Ordnungen der Kirche und in den Schriften der Kirchenväter niedergelegt fand, gleichermaßen geachtet. Im Neuen Testament (II. Thess. 2, 15) nennt Paulus selber (mündliches) Wort und Briefe (also Heilige Schrift) gleichermaßen als Wege der Überlieferung. Noch zu Beginn des II. Jahrhunderts kann Papias schreiben, daß die Berichte der Augenzeugen bedeutsamer seien als Bücher. Erst als keine Augenzeugen mehr lebten und auch niemand mehr, der Augenzeugen aus erster Hand kannte, kam es zum Vorrang der inspirierten und nun kanonisieren Schriften des Neuen Testaments.

II. Sola gratia
„Sola gratia“ besagt, daß der Mensch nichts selber entscheiden kann, was ihn zum Heil bringe oder davon entferne, sondern alles an göttlicher Vorbestimmung – Prädestination – liegt, der Mensch ist willenlos dem Weg überantwortet, Seligkeit oder Verdammnis, der für ihn vorgesehen ist. Dies ist das Prinzip, daß für Luther zentral war. Deshalb stellt er des Erasmus Schrift De libero arbitrio die seine De servo arbitrio entgegen (und würzt das noch mit seinem Haß gegen Erasmus: «Ich will gegen ihn schreiben, sollt er gleich darüber sterben und verderben; den Satan will ich mit der Feder töten – wie ich Münzer getötet habe, dessen Blut auf meinem Hals liegt.»). Daß es im heutigen Luthertum im Gegensatz zum Calvinismus weitgehend nur entschärft vorgebracht wird, liegt nicht an Luther (die Gnesiolutheraner haben es in alter Schärfe bewahrt), sondern an Melanchthon.
Der Begriff der Prädestination kommt im Neuen Testament vor; die bedeutsamste Stelle findet sich im Römerbrief (8, 29 f.). Hier übersetzt Luther: «Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes.» Der wirkliche Text klingt etwas anders: «Hóti hoùs proégno, kaì proórisen ... – Nam quos praescivit, et praedestinavit ... – Denn die er vorhererkannt hat, hat er auch vorherbestimmt ...» Philosophisch geklärt hat schon Boëthius die Frage der Prädestination in De consolatione philosophiae.
Die reformatorische Vorstellung von Prädestination steht in scharfem Gegensatz zum Neuen Testament; dort steht (I. Tim. 2, 4), daß Gott will, daß «alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.»
Und der reformatorischen Bedeutungslosigkeit des Willens stehen Aufforderungen zu eigener Bemühung entgegen: «Agonízesthe ... – Bemüht euch, einzutreten durch die enge Pforte» (Luc. 13, 24)
„Allein durch Gnade“ – es sind sehr unterschiedliche Begriffe von Gnade: der biblische – Gott überläßt den Menschen «der Macht der eigenen Entscheidung» (Sir. 15, 14, Einheitsübers.), sagt ihm: «Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen!» (Deut. 30, 19, EÜ.); der reformatorische – Gott entscheide willkürlich, wem er Gnade gewähre.

III. Sola fide
„Sola fide“ bedeutet, daß das Heil nur erreicht werde durch den Glauben, Erfüllung der Gebote darüber hinaus nicht notwendig sei. Dies haben die Reformatoren eher zurückhaltend formuliert, um nicht – was sie eben auch nicht wollten – jede moralische Norm zu beseitigen; aber die Aussage ist doch klar zu finden, so schon 1520 in Luthers Von der Freyheith eines Christenmenschen.
Die reformatorische Argumentation beruht wesentlich darauf, daß sie Gesetzeswerke, also die Erfüllung der Gebote der Thora einschließlich der Ritualgebote, mit der Erfüllung der allgemeingültigen Gebote Gottes, die aus dem Liebesgebot hervorgehen, gleichsetzt.
Dem Neuen Testament ist das fremd. Durchaus wird dort die wesentliche Bedeutung des Glaubens hervorgehoben, besonders im Galater-, im Römer- und im Hebräerbrief. Doch der Römerbrief hält nach elf Kapiteln ein mit diesem Thema und geht über zu den Geboten, die zu erfüllen sind.
Jesus sagte einfach: «Wenn du aber ins Leben eintreten willst, halte die Gebote!» (Matth. 19, 17). Und die Rede Jesu vom Weltgericht (Matth. 25, 31-46) schließt jegliches Sola fide aus.
Einen scheinbaren neutestamentlichen Beleg für Sola fide findet sich in der Lutherübersetzung des Römerbriefs: «So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben» (3, 28). Doch dieses «allein» stammt von Luther, steht nicht im wirklichen Schrifttext. Luthers Begründung (im Sendbrief vom Dolmetschen): «Doktor Martinus Luther will’s so haben» und «Sic volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas» (der Pikanterie dieser Begründung wird man erst gewahr, wenn man bei Juvenal das Original dieses Zitats im Zusammenhang liest.
„Allein durch den Glauben“ – es ist der Glaube an einen Gott, vor dem nichts zählt als Er selber.

– I. Teil –

– II. Teil / 4.-7. –
– III. Teil –

______________________________________________________________________

Verschiedene Bibelübersetzungen sind zu finden in:
BibleServer

Einige Texte finden sich zweisprachig in:
Biblischer Wegweiser zur Diskussion mit Zeugen J”s

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.