Freitag, 27. Oktober 2017

Das Rätsel der „Reformation“ ( I. )

Ein nebensächliches Vorspiel: 95 Thesen

Am 31. Oktober 1517 schickte Dr. Martin Luther an den Erzbischof von Magdeburg und (zugleich!) von Mainz einen Brief mit 93 Thesen über den Ablaß und ebenso an seinen Ordinarius, den Bischof von Brandenburg und Havelberg. Im Januar 1518 kamen noch zwei letzte Thesen hinzu sowie die einleitende Einladung zu einer Disputation über diese Thesen.
Und dieser 31. Oktober wird nun von der evangelischen Christenheit als „Reformationsfest“ gefeiert.

Liest man nun diese Thesen, so ist man angesichts eines solchen Anfangs der „Reformation“ verwundert: sie enthalten recht wenig für den Katholiken, um so mehr für den Protestanten anstößiges. Bann und Fluch spricht er gegen den aus, «contra veniarum apostolicarum veritatem qui loquitur – der gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses spricht» (71.); und «si ergo venie secundum spiritum et mentem Pape predicarentur, facile illa omnia [argumenta] solverentur, immo non essent – wenn daher der Ablaß dem Geiste und der Auffassung des Papstes gemäß gepredigt würde, lösten sich diese [Einwände] alle ohne weiteres auf, ja es gäbe sie gar nicht» (91.).
Manches ist einfach eine – scharf formulierte – Klarstellung der gesunden kirchlichen Lehre, so etwa, «quod venie papales nec minimum venialium peccatorum tollere possint quo ad culpam – daß päpstliche Ablässe auch nicht die geringste der läßlichen Sünden tilgen können, was die Schuld angeht» (76.).
Wenn allerdings in der 4. «poenitentia vera intus – wahre innerliche Buße» als «odium sui – Haß gegen sich selbst» definiert wird, so ist das wohl aus Luthers Psychopathologie zu verstehen.
Doch mancher These kann der Katholik nicht zustimmen, so etwa der 5.: «Papa non vult nec potest ullas poenas remittere: praeter eas, quas arbitrio vel suo vel canonum imposuit – weder will der Papst noch kann er Strafen erlassen außer denen, die er nach eigener Entscheidung oder nach der der Canones auferlegt hat.» Aber wenn man bedenkt, daß damals die Ablaßlehre noch nicht hinreichend lehramtlich definiert war und daß es sich um zu disputierende Thesen handelt, nicht um Erklärungen, so kann man sagen, daß Luther hier den von der Kirche gesetzte Rahmen nicht endgültig gesprengt hat.

Wie kam es dann zu einer „Reformation“, die sich in klaren Gegensatz zur Kirche – und nicht nur zur katholischen im konfessionellen Sinn – gebracht hat?
Im nächsten Jahr gab es eine anschwellende Diskussion von Schriften von beiden Seiten, die Positionen polarisierten und verfestigten sich. Es kam vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 zur Leipziger Disputation zwischen Dr. Johann Maier von Eck und Luther mit seinen Gefolgsleuten. Diese Disputation führte dazu, daß Luther, um seine Standpunkte aufrechterhalten zu können, mit der Lehre der Kirche endgültig brach.
Wäre es nur um rechte Praxis des Ablasses gegangen, wie es noch die Thesen erklären: ein Bruch wäre nicht notwendig gewesen. Wäre es um eine wirkliche Reform der Kirche gegangen: ein Bruch wäre nicht notwendig gewesen. So aber brachen mit Luther auch die, deren Anliegen solch eine Reform am Herzen lag, so die großen Humanisten Johannes Reuchlin, dessen Großneffe Philipp Melanchthon war, und Erasmus von Rotterdam, welcher anfänglich mit Luthers Anliegen sympathisierte und dem später ungeachtet seiner kritischen Einstellung vom Papst die Kardinalswürde angeboten wurde.
Wäre es – in scharfem Gegensatz zu These 71. – nur um die Abschaffung des Ablasses gegangen und um die des päpstlichen Primats, auf dem die Ablässe beruhen, so hätten die Reformatoren sich der Orthodoxie anschließen können. Schon bei der Leipziger Disputation spricht Luther von der Orthodoxie, schon zu Luthers Lebzeiten korrespondierte aus seinem engstem Umkreis Melanchthon mit einem orthodoxen Griechen, einige Jahre später schickte der Ökumenische Patriarch Joasaph II. einen Diakon, Dimitrios Myssos, zu Gesprächen nach Wittenberg.
Schließlich schickte Melanchthon eine, freilich geschönte, Übersetzung der Confessio Augustana nach Konstantinopel – sie trug den Titel «EXOMOLOGESIS TES ORTHODOXOU PISTEOS... – Bekenntnis des orthodoxen Glaubens...» und gab Maria den Titel «aeipárthenos – die Immerjungfräuliche», den die deutsche Confessio nicht kennt. Wie die Antwort des Patriarchen zeigt, hatten die Wittenberger Reformatoren dabei die Absicht geäußert, sich den Ökumenischen Patriarchen anzuschließen. Dazu erklärte sich der Patriarch, Jeremias II., bereit; zugleich unterzog er die Confessio Augustana einer eingehenden Prüfung. Er schrieb abschließend: «Da nun ihr, deutsche, hochgelehrte Männer, unserer Mittelmäßigkeit in Christo geliebteste Söhne, weislich und aufrichtig beschlossen habet, Euch mit der heiligsten Kirche Jesu Christi, so bey uns ist, zu vereinigen und Euch derselben zu unterwerfen; so nehmen Wir, wie die Eltern ihre geliebten Söhne, Eure Liebe und Freundlichkeit mit offenen Armen willig auf; wenn Ihr die apostolische Lehre sammt der Lehre der Concilien und die Tradition annehmen, und derselben mit Uns folgen wollet.» Doch dazu waren die Reformatoren nicht bereit; es kam noch zu weiterem Austausch von Gesandtschaften und Schriftstücken; aber dann verlief sich die Sache.
Wäre es den Wittenberger Reformatoren nur um die Abschaffung des Ablasses gegangen und um die des päpstlichen Primats, so hätte die Reformation im späten XVI. Jahrhundert ihren Abschluß gefunden in der Gründung einer deutsch-orthodoxen Kirche; und die Kommunionspendung sub utraque specie hätten sie noch dazu bekommen.

Worum also ging es in der „Reformation“ wirklich?

– II. Teil / 1.-3. –
– II. Teil / 4.-7. –
– III. Teil –

______________________________________________________________________

Die Kontakte zwischen Konstantinopel und Wittenberg sind dargestellt in:
Theodor Nikolaou: Stand und Perspektiven des Orthodox-Lutherischen Dialogs.
In: Oecumenica et Patristica: Festschrift für Wilhelm Schneemelcher zum 75. Geburtstag,
hrsg. von Damaskinos Papandreou u.a., S. 33-61, Stuttgart 1989

Das Schreiben des Patriarchen Jeremias II. von 1576
– Des Herrn Patriarchen . . . . . Sendschreiben an Dr. Jakob Schmidle und Martin Krausen, sammt ihren Mitverwandten der Augsburgischen Confession –
wurde gekürzt (und mit unfreundlichen Bemerkungen versehen) herausgegeben als:
Urtheil der Orientalischen Kirche und ihres Patriarchen zu Konstantinopel über die Augsburgische Confession mit einigen Bemerkungen herausgegeben von Johann Georg Pfister ehemals Pfarrer zu Ober-Leichtersbach. Würzburg 1827.

1 Kommentar:

  1. Ich finde es immer interessant, wie wenig die Heidelberger Disputation beachtet, ja gekannt wird.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.